"Investieren wir bald alle wieder in den USA, Herr Miller?"

16.03.2005 Ausgabe 04/05

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Bill Miller, Star-Fondsmanager des Legg Mason Value Trust, über vermeintliche Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft und einen Umschwung in der Anlegerstimmung.

Bill Miller, legendärer Anlagestratege der US-Fondsgesellschaft Legg Mason, schart Wissenschaftler und Querdenker wie die New-Economy-Ikone Michael Mauboussin um sich. Ebenso außergewöhnlich sind seine Anlageergebnisse. Seit 14 Jahren schlägt er jedes Jahr den S&P-500-Index. Seine Strategie erläutert er im €uro-Interview.

Euro: Herr Miller, was sind Ihre Aussichten für 2005?

Bill Miller: Im Moment klingt es smarter, pessimistisch zu sein. Dann erweckt man den Eindruck, man hätte alle Aspekte beachtet. Das dominante Thema ist immer noch Risikovermeidung. Die niedrigen Zinsen zeigen, daß die Leute Angst vor Aktien haben.

Euro: Schließen Sie sich dieser Skepsis an?

Miller: Nein. 2005 wird es in den Köpfen der Menschen einen Schwenk geben hin zu der Einschätzung, daß Aktien steigen und Renten fallen werden. Ich bin sehr bullish. Ich bin der bullishste Mensch, den ich kenne.

Euro: Was macht Sie so optimistisch?

Miller: In der Regel sind doch Menschen skeptisch, wenn die Fundamentaldaten schlecht sind. Jetzt aber könnten die Voraussetzungen nicht besser sein. Wenn man dann von einem überbewerteten Euro in attraktivere US-Aktien investieren kann, ist das eine riesige Gelegenheit.

Euro: Der Konjunkturaufschwung in den USA ist also nicht in Gefahr?

Miller: Die Schwankungen der US-Wirtschaft sind viel geringer geworden in den vergangenen Jahren. Das reduziert das Risiko der Wirtschaft insgesamt und erlaubt höhere Kurs/Gewinn-Verhältnisse. Ich glaube, die USA sind in einem strukturellen Aufwärtstrend. Die Gewinne steigen, die Dividenden steigen, und die Anleger werden irgendwann auch überzeugt sein, daß die Bewertungen ebenfalls steigen.

Euro: Auf welche Daten achten Sie dabei?

Miller: Die Unternehmensgewinne sind so hoch wie seit langem nicht. Der freie Bargeldfluß ist so hoch wie nie, die Produktivität ist hoch. Und die Kassenstände sind extrem hoch. Die Konsumenten sind optimistisch.

Euro: Steigen die Gewinne 2005 aber auch so stark wie 2004?

Miller: Viele erwarten nur Gewinnsteigerungen von sechs bis sieben Prozent. Ich bin von zweistelligen Gewinnzuwächsen 2005 überzeugt. IBM und Citigroup haben das schon angekündigt.

Euro: Könnten die Rekord-Defizite im US-Haushalt und in der Handelsbilanz den Wirtschaftsaufschwung nicht bremsen?

Miller: Das sind Ungleichgewichte in Anführungszeichen. Ein wirkliches Ungleichgewicht herrschte in der Telekomausrüster-Industrie. Dort wurde viel zuviel in Glasfaser investiert. Aber wer von einem Ungleichgewicht in der Weltwirtschaft spricht, der impliziert, daß es ein Gleichgewicht gäbe. Diese sogenannten Ungleichgewichte sind aber nur Phasen der Veränderung.

Euro: Aber Fakt ist, daß die USA über ihre Verhältnisse leben.

Miller: Die USA konsumieren sechs Prozent mehr, als sie erwirtschaften. Na und? Genauso gut könnte man sagen, das Ungleichgewicht entsteht, weil die Europäer und Asiaten zuviel sparen und zuwenig konsumieren. Wie soll man das korrigieren und warum überhaupt? Wenn man den Konsum der Amerikaner aus der Gleichung nehmen würde, bauen sich auf der anderen Seite Vorräte auf, das macht doch keinen Sinn.

Euro: Das Handelsdefizit hat sich auch mit einem schwachem Dollar nicht abgebaut. Ist das ein Grund zur Sorge?

Miller: Das wundert mich nicht. Das Handelsbilanzdefizit ohne Ölimporte und ohne den Handel mit China ist seit vier Jahren stabil und zuletzt sogar gesunken. Aber: Auf Ölimporte und den China-Handel hat der Dollar-Kurs überhaupt keinen Einfluß.

Euro: Bedenklich ist doch, daß die asiatischen Notenbanken mit Dollar-Käufen die US-Währung stützen. Wenn dies wegfiele, befände sich der Dollar im freien Fall.

Miller: Sicher kann man alle möglichen Szenarien kreieren. Aber es gibt keine Anzeichen dafür, daß die asiatischen Notenbanken Dollar verkaufen würden. Währungen orientieren sich an Warenströmen und Wachstumsunterschieden. Aber in den USA sind die kurzfristigen Zinsen höher, das Wachstum ist höher, die Produktivität ist höher. Ich erwarte deshalb, daß der Dollar wieder steigt. Japan, China, Korea kaufen Dollar, weil es gut für sie ist. Wenn sie verkaufen wollten, hätten sie es getan, als der Dollar auf einem Rekordhoch war.

Euro: Viele prominente Investoren wie Bill Gates zum Beispiel oder Warren Buffett erwarten einen weiter fallenden Dollar. Was macht sie so sicher?

Miller: Ich schätze Bill Gates Meinung sehr zu Technologie, aber ich würde ihn nicht zu Wechselkursen befragen. Im Ernst: Es ist seltsam, daß 2001 niemand pessimistisch für den Dollar war. Und jetzt, nach vier Jahren Abwertung, hält keiner mehr etwas von ihm. Das spricht dafür, daß alles Negative bereits im Preis enthalten ist.

Euro: Mit ihrer Vorliebe für Internetaktien unterscheiden Sie sich von vielen Investoren. Was fasziniert Sie an diesen Titeln?

Miller: Sie haben Netzwerkstrukturen, wenn auch sehr unterschiedliche. Bei Amazon ist sie nicht so stark ausgeprägt, es ist eine Struktur ähnlich wie ein Radiosender. Anders bei Ebay, da sind auch die Kunden miteinander verbunden. Für sie ist es wichtig, im Ebay-Netz zu sein. Der Wert von Ebay steigt, je mehr Kunden beteiligt sind.

Euro: Was ist der Vorteil von Netzwerken?

Miller: Sie sind schwer zu replizieren. Wieviele Auktionsseiten kennen Sie außer Ebay? Dagegen gibt’s unzählige Seiten mit Reiseangeboten. Dabei darf man die Netzwerkeffekte aber auch nicht überschätzen. Wichtig ist, ob die Firma ihre Kapitalkosten verdient.

Euro: Wie groß können Netzwerke werden?

Miller: Wie groß sie werden, ist eine Funktion des Markts. Ein Vergleich: Der zusammengefaßte Marktwert aller Konsumenten-Internetaktien ist viel geringer als der von großen Medienkonzernen, die kaum mehr wachsen. Da ist noch viel Raum.

Euro: Konkreter bitte, wieviel?

Miller: Das ist schwer zu sagen. Da bestimmt im wesentlichen der Schätzfehler das Ergebnis. Wenn ich sage, die Online-Buchverkäufe nehmen um 15 oder 50 Prozent zu, ist das Ergebnis komplett unterschiedlich. Ich sehe auf die Penetrationsrate und weiß, wieviele Menschen das Internet nutzen. Ich treffe keine absolute, sondern eine relative Aussage.

Euro: Wie nähern Sie sich beispielsweise dem Wert von Amazon?

Miller: Amazon hat ein Geschäftsmodell, das dem des IT-Händlers Dell ähnelt. Beide verkaufen nur über das Internet und stellen nichts selbst her. Dell hat bei einem Umsatz von 50 Milliarden Dollar einen Marktwert von 100 Milliarden Dollar. Wir schätzen, daß Amazon bei einem Umsatz von 50 Milliarden auch bei 100 Milliarden Dollar Börsenwert liegen wird. Nur wissen wir nicht, wann es so weit sein wird.

Euro: Kaufen Sie bei aktuellen Kursen Aktien von Ebay, Amazon und Google?

Miller: Wir würden gerne, aber wir sind schon jeweils einer der größten Investoren. Es sind aber ohne Zweifel attraktive Aktien.

Euro: Sie kalkulieren die Erwartungen der Marktteilnehmer, die sich im aktuellen Aktienkurs widerspiegeln. Sind die Erwartungen bereits zu hoch?

Miller: Nein, die Erwartungen können durchaus noch weiter steigen. Der dominierende Auslöser, der Turbo-Trigger, ist der Umsatz. Wenn die Verkäufe sich weiter positiv entwickeln, wird das den Kurs treiben.

Euro: Gilt das auch für die Ebay-Aktien, deren Kurs 2005 eingebrochen ist?

Miller: Ebay hat die Ausgaben erhöht, das hat das Wachstum verlangsamt, und die Aktie stürzte ab. Der Punkt ist: Die Erwartungen sind jetzt viel geringer, als sie jemals bei dem gleichen Aktienkurs in der Vergangenheit waren. Der Markt ist hypersensitiv bei Margenänderungen.

Euro: Ihr Fonds verwaltet inklusive aller Klone, wie dem in Deutschland erhältlichen Legg Mason Value Fund, 35 Milliarden Dollar. Ist er nicht zu groß geworden?

Miller: Wir haben 35 Aktien im Fonds, also im Schnitt eine Milliarde pro Wert investiert. Dabei ist der durchschnittliche Marktwert der Aktien im Fonds 50 Milliarden Dollar. Da sehe ich keine Probleme. Die maximale Fondsgröße ist eher eine Funktion der Marktverfassung. Wäre jetzt 1987, dann könnten wir kein Geld mehr aufnehmen. Wäre jetzt Sommer 2002, könnten wir fast unbegrenzt investieren. Im Moment bin ich entspannt.

Euro: Sind Zinssteigerungen eine Gefahr für den Aktienmarkt??

Miller: Nein, weil die Zinsen nur von einem sehr niedrigen auf ein neutrales Niveau steigen. Es war zu lange zuviel Liquidität im Markt. Das neutrale Niveau wird ohnehin niedriger sein, als die meisten glauben. Ich gehe von ein bis 1,5 Prozent realen Zinsen aus. Das ist nichts, was den Aktienmarkt behindert.

Das Gespräch führte Joachim Althof.