Der Dollar-Unsinn

Der Dollar fällt – und parallel dazu steigen die Sorgen der Finanzmärkte, dass es den USA bald nicht mehr gelingen könnte, ihr Handelsbilanzdefizit zu finanzieren. So etwas zu behaupten ist jedoch vollkommener Unsinn, weshalb das Volk der Finanzleute auch eher ein wenig an das Dorf der unbezwingbaren, rauflustigen Gallier erinnert, deren Anführer Majestix von der einzigen Sorge belastet wird, der Himmel könne ihm auf den Kopf fallen. Die Herren des Geldes regieren zwar die Welt, doch der Kopf ist ihnen verloren gegangen – so sie ihn denn überhaupt jemals richtig besessen haben.

Dass ein Land ein Handelsbilanzdefizit aufweist und es nicht finanzieren kann, diesen Fall gibt es nicht. Er ist logisch ebenso unmöglich wie eine Situation, in der uns der Himmel auf den Kopf fällt. Leider hat sich das in der hochbezahlten Gilde der Finanzmarkt-Teilnehmer noch nicht herumgesprochen. Aber warum auch? Es ist doch so wunderbar lukrativ, sich endlich wieder einmal so richtig schöne Sorgen zu machen.

Wenn ein Land ein Handelbilanzdefizit eingehen würde, welches sich als nicht finanzierbar erweist, dann wäre das, als würde jemand einen Kredit aufnehmen, ohne dabei Schulden zu machen. So etwas geht schlichtweg nicht, und zwar deshalb, weil "Kredit aufnehmen" und "Schulden machen" miteinander identisch sind und daher – selbst gedanklich – nicht voneinander getrennt werden können.

Und nicht anders ist es in den internationalen Handelsbeziehungen. Im selben Moment, in dem die USA Waren aus dem Ausland kaufen, müssen sie sie entweder in bar bezahlen oder eine Verbindlichkeit eingehen. Doch genau damit ist ihr Defizit bereits finanziert. Und Punkt. Ende der Geschichte.

Eine völlig andere Fragestellung ist es hingegen, was diejenigen, die den USA die Waren geliefert haben, nun mit ihren Dollars, beziehungsweise Dollarforderungen machen werden. Wenn sie sie halten wollen, wird der Dollar stabil bleiben. Wollen sie sich jedoch von ihnen trennen, dann wird der Dollar im Kurs fallen. Die Finanzierung des Handelsbilanzdefizit bleibt davon natürlich völlig unberührt. Sie ist bereits mit der Existenz des Defizits passiert, und alles, worum es jetzt geht, ist, wer die entsprechenden Forderungen zu welchem Preis in seinem Besitz hält.

Nun könnte man natürlich einwenden, dass bald niemand mehr an die USA etwas liefern will, weil jeder befürchtet, der Dollar könne weiter sinken. Das ist zwar logisch möglich, aber reichlich unwahrscheinlich. Denn sofort, wenn ein Marktteilnehmer den Markt verlässt, werden sofort zwei weitere nachrücken, die brennend gerne liefern wollen. Möglicherweise werden die Importe für die USA damit teurer, was jedoch nur dazu führen würde, dass sich das Problem des Handelsbilanzdefizit durch das Verschwinden dieses Defizits von selbst löst. Und der Rest der Welt, der jetzt so laut klagt, wird dann offen in Tränen ausbrechen.

Noch entscheidender ist jedoch, dass die Umsätze auf den Devisenmärkten, die rein finanzieller Natur sind, diejenigen, die ein Warengeschäft zum Hintergrund haben, in etwa mit einer Quote von 100:1 dominieren. Warum sollte daher eine Weltwährung wie der Dollar an einem derartigen Wurmfortsatz von Warenverkehr zu Grunde gehen? Und es kommt noch etwas weiteres hinzu: Das Konzept der nationalen Handelsbilanzen stammt aus einer Zeit, als noch niemand den Begriff "Globalisierung" so recht schreiben konnte. Nach diesem Konzept werden nämlich Vorprodukte, die US-Unternehmen von US-Unternehmen mit Sitz auf den Bermudas beziehen, als Importe gefasst. Und Finanztransaktionen nur dann erfasst, wenn sie sich auch erfassen lassen.

Das bedeutet: Dass große Teile der US-Staatsverschuldung in den Händen ehrlicher und stockkonservativer Japaner liegen, wird gemeinhin als Damoklesschwert gesehen, welches über den Weltfinanzen schwebt. Dass Teile der bundesdeutschen Staatsschuld hingegen auf gewaschenen Depots der Mafia schlummern, bekümmert zu Recht niemanden.

 

Bernd Niquet, im Mai 2003.