Norbert Bolz - Soziale Gerechtigkeit als größte Gefahr der Demokratie
6.07.2009
Und weiter in der Buchaktion! Norbert Bolz hat ein neues Buch veröffentlicht: Diskurs über die Ungleichheit. Ein Anti-Rousseau. Sehr originelle Gedanken, sehr lesenswert, und jeder, der mit offenen Augen sein Leben in der BRD verbringt, wird seinen Thesen sofort zustimmen. Einziger Kritikpunkt: es sind ein paar Wiederholungen im Buch! Der Tipp kam übrigens von einem Kommentator hier! Weitere Links zu Norbert Bolz mit weiteren Textauszügen aus seinen anderen Büchern am Ende dieses Artikels:
Der Begriff der sozialen Gerechtigkeit markiert den Abschied von der liberalen Gesellschaft. Und es gibt heute kaum mehr Politiker, die nicht im Namen der sozialen Gerechtigkeit agieren. Niemand kann den Begriff definieren, aber gerade deshalb funktioniert er so gut als Flagge des Gutmenschen, als Chiffre für die richtigen moralischen Gefühle. In dieser Frage erlaubt sich unsere restlos aufgeklärte Gesellschaft eine letzte große Mystifikation, den Appell an ein unkommunizierbares Gefühl. Soziale Gerechtigkeit ersetzt das Heilige. Fast jeder erkennt ja Ungerechtigkeit, wenn er sie sieht oder erlebt, aber fast niemand kann sagen, was Gerechtigkeit ist…
Es gibt eine berechtigte Leidenschaft für die Gleichheit, die die Menschen anspornt, sich um die Anerkennung und Achtung von ihresgleichen zu bemühen – man könnte sagen: eine Leidenschaft für die Gleichheit aus Stärke. Aber es gibt auch eine Leidenschaft für die Gleichheit aus Schwäche, wo die Schwachen versuchen, die Starken auf ihr Niveau herabzuziehen. Und in dieser Gleichheitssucht steckt die größte Gefahr der modernen Demokratie, nämlich die Verlockung, einer Ungleichheit in Freiheit die Gleichheit in der Knechtschaft vorzuziehen. Beide, Freiheit wie Gleichheit, kosten etwas. Der Preis der Freiheit ist sofort spürbar; der Preis der Gleichheit macht sich erst allmählich bemerkbar. Und umgekehrt gilt: Die Wohltaten der Freiheit zeigen sich erst allmählich, aber die Wohltaten der Gleichheit spürt man sofort.
Es kann deshalb nicht überraschen, dass die Leidenschaft für die Gleichheit sehr groß, die Liebe zur Freiheit aber nur sehr mäßig temperiert ist; und dass man im Zweifel die Freiheit der Gleichheit opfert. Historisch betrachtet kämpfen Freiheit und Gleichheit zunächst gemeinsam, aber sie trennen sich nach dem Sieg. D.h. nur solange die Gleichheit die Freiheit politisch benutzen kann, verbünden sich Gleichheit und Freiheit. Nur im Kampf gegen autokratische Machthaber stehen Freiheit und Gleichheit auf derselben Seite der Barrikade. Der Kult der siegreichen Gleichheit fordert dann aber rasch das Opfer der Freiheit.
Es ist eine traurige Ironie der Weltgeschichte, dass das Ideal der Gleichheit den Hass verewigt, den die Realität der Ungleichheit erzeugt hat. Massendemokratisch leben heißt nämlich, im vergleichenden Blick auf die anderen leben. Und je gleicher die Lebensverhältnisse sind, um so hartnäckiger fixiert sich der neidische Blick auf das Überragende, die Exzellenz, den Besseren. Der Hass auf die Ungleichheit ist die demokratische Leidenschaft par excellence. Und je weniger Ungleichheiten es gibt, desto größer wird der Hass auf sie. Das Prinzip Gleichheit wirkt also paradox: Je mehr Gleichheit praktisch durchgesetzt wird, desto unerträglicher wird jede noch vorhandene Ungleichheit. Je größer die Gleichheit, desto unerbittlicher das Verlangen nach noch mehr Gleichheit. Die statistisch erwiesene Ungleichheit wird als Ungerechtigkeit interpretiert und dann als zentrales Beweismittel im ideologiekritischen Prozess gegen die bürgerliche Freiheit eingesetzt.
Die Gleichheit der Menschen ist aber eine Abstraktion. Sobald man betrachtet, wie sie in Geschichten und Kausalitäten verstrickt sind, drängen sich die Ungleichheiten auf; so wie Bauern im Schachspiel abstrakt betrachtet gleich stark sind, im Spielverlauf aber höchst unterschiedliche Wichtigkeit bekommen. Menschen respektvoll zu behandeln, heißt deshalb nicht, sie gleich zu behandeln. Der Wunsch nach mehr Gleichheit führt gerade nicht zur Erfahrung der Anerkennung.
Die Behandlung des Ungleichen als Gleiches wird heute als Wert konzipiert — die Farbigen und die Weißen, die Kinder und die Erwachsenen, die Frauen und Männer, die Armen und Reichen, die Kleinen und die Großen, die Dummen und die Klugen. Der Geist der Politischen Korrektheit lässt sich deshalb auf eine ganz einfache Formel bringen: Wahrheit ist relativ. Er kämpft nicht gegen die Unwahrheit sondern gegen die Intoleranz. Nichts und niemand soll verachtenswert sein. Der gesunde Menschenverstand sagt einem aber: Man kann nicht das Gute finden und bewundern, ohne das Schlechte mit zu entdecken — und zu verachten.
Es gibt Dinge, die besser sind als andere. Es gibt Kulturen, die fortschrittlicher und humaner sind als andere. Und es gibt Menschen, die anderen überlegen sind — die Aristoi, die Elite, die Seltenen, die Besten, die Stars, die Reichen, die Mächtigen, die Berühmten. Dieses Besser- und Überlegensein artikuliert sich traditionell als Vornehmheit, Größe, Stil und Wille zur Distinktion. Für die Massendemokratie ist das ein Skandal, auf den sie mit einem scharfen Ressentiment zunächst gegen Meisterschaft und Autorität, dann gegen Kanon und Elite und schließlich gegen Erfolg und Leistung reagiert. Die ersten Opfer dieser Rhetorik der Gleichheit sind die Schönheit, die Wahrheit, die Tugend und die Größe.