Robert Mundell, 1932 im kanadischen Ontario geboren, studierte unter anderem an der London School of Economics und promovierte am MIT. Er hatte Professuren in Stanford, an der University of Chicago und in Genf inne. Seit 1974 lehrt er an der Columbia University. Mundell war Berater der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Kommission.

In den sechziger Jahren schuf er - fast im Alleingang - das Feld der internationalen Makroökonomie. Sein Aufsatz "Theorie optimaler Währungsräume" (1961) gilt als Anstoß für die Diskussion über eine europäische Gemeinschaftswährung. Später wurde er Leitfigur der Angebotstheoretiker, die unter Ronald Reagan eine Politik radikaler Steuersenkungen durchführten. 1999 erhielt er für seine früheren Arbeiten den von der Schwedischen Reichsbank in Erinnerung an Alfred Nobel gestifteten Preis für Wirtschaftswissenschaften.

Mundell hat zuletzt wiederholt eine einheitliche "Weltwährung" gefordert - oder zumindest feste Wechselkurse von Yen, Euro und Dollar. Das System der freien Kurse hält er für unberechenbar und schädlich.

Mundell lebt in New York und in der Toskana in einem Palazzo, das er mit seinem Nobelpreisgeld restaurierte. In den USA ist er auch wegen seiner Auftritte in der David-Letterman-Show bekannt, in der er unter anderem derbe Witze vortrug oder Auszüge aus den Memoiren von Paris Hilton vorlas

Nobelpreisträger Mundell im Interview

"Unser Währungssystem ist verkommen"

Der Ökonom Robert Mundell, 1999 mit dem Nobelpreis geehrt, gilt als eine der größten Autoritäten in Währungsfragen und als "Vater des Euro". Im Interview mit SPIEGEL ONLINE erklärt er, warum er den derzeitigen Eurokurs für irrational hoch hält - und wie Notenbank und EU-Politik gegensteuern sollten.

SPIEGEL ONLINE: Professor Mundell, in den letzen Wochen haben US-Notenbankchef Greenspan und US-Finanzminister Snow viel beachtete Reden gehalten, nach denen der Dollar jeweils kräftig gefallen ist. Versuchen die Amerikaner etwa, ihre eigene Währung schlechtzureden?

Ökonom Mundell: "Es glaubt doch niemand daran, dass die europäische Volkswirtschaft stark ist"

Robert Mundell: Nein, das wäre eigenartig - vor allem, seit Präsident Bush beim Santiago-Gipfel der APEC gesagt hat, er unterstütze einen "starken Dollar". Greenspan und Snow haben ihre Statements ja vor Bush abgegeben.

SPIEGEL ONLINE: Die meisten Devisenhändler fanden Bushs Erklärung unaufrichtig. Die USA profitieren ja in vielfältiger Weise vom schwachen Dollar.

Mundell: Ich sage ja nicht, dass Erklärungen der Politiker und von Greenspan die Märkte nicht bewegen können. Händler hören sie sich an und interpretieren sie. Greenspan, Snow und Bush sind auch sicher nicht unglücklich angesichts der Schwäche des Dollars - sie passt zu ihrem Plan, die US-Wirtschaft zu beleben und die Wettbewerbskraft gegenüber Europa zu stärken. Ich glaube nur nicht, dass es einen direkten Versuch von ihrer Seite gibt, den Dollar zu drücken.

SPIEGEL ONLINE: Die USA werden aber im Gegenzug kaum intervenieren, um den Dollar zu stärken. Insofern hat Bushs Statement wohl wenig Substanz.

Mundell: Die USA hatten noch nie eine große Neigung zu Interventionen auf dem Devisenmarkt - selbst zur Zeit von Bretton Woods, als alle Wechselkurse fixiert waren. Auch die Aussagen Snows und Greenspans hatten wenig Substanz. Beide haben nichts gesagt, das nicht seit Jahren bekannt ist.

SPIEGEL ONLINE: Greenspan hat auf das hohe Leistungsbilanzdefizit der USA hingewiesen - es könne ausländische Investoren davon abhalten, Dollar zu kaufen. Ist das kein substanzieller Punkt?

 

REUTERS

Euro-Symbol vor der Zentralbank in Frankfurt:"Seltsam, dass die EZB sich nicht ein bisschen schlauer anstellt"

Mundell: Sogar der Internationale Währungsfonds hat dieses Defizit schon einmal als tickende Zeitbombe beschrieben. Es besteht aber seit 25 Jahren, das ist nichts Neues.

SPIEGEL ONLINE: Wenn das stimmt, warum steigt der Euro dann immer noch? Reagiert der Markt über?

Mundell: Sehr stark sogar. Es gibt dieses neue Phänomen - Programme für Finanznachrichten, denen die Leute den ganzen Tag zuhören. Da wird immer wieder derselbe Hype über Währungen wiederholt. Das wird in einem Ausmaß aufgebauscht und dramatisiert, das Devisenhändler beeinflusst - und die übertreiben dann.

SPIEGEL ONLINE: Dann gibt es Ihrer Meinung nach keinen fundamentalen Anlass für die Dollarschwäche? Das ist schwer vorstellbar.

Mundell: Es glaubt doch niemand daran, dass die europäische Volkswirtschaft stark ist. Also gibt es keinen guten Grund, warum der Euro nicht nur gegenüber dem Dollar, sondern auch zum Yen, dem chinesischen Yuan und dem koreanischen Won steigen sollte. Das alles trägt irrationale Züge. Es zeigt, wie verkommen unser Wechselkurssystem ist. Gerüchte und einige große Player können die Kurse hin und zurück bewegen. Für die Europäer ist der Dollar-Euro-Wechselkurs der wichtigste Preis überhaupt - und der ist reichlich willkürlich. .

SPIEGEL ONLINE: Jean-Claude Trichet, der Chef der Europäischen Notenbank EZB, scheint jedenfalls besorgt zu sein. Er hat den Anstieg des Euro "brutal" genannt.

Mundell: Die Europäer sollten wohl besorgt sein. Ich glaube, ein Euro-Kurs von 1,20 Dollar oder weniger wäre viel besser. Die deutsche Autobranche ist schon beeinträchtigt worden. Wenn der Euro-Kurs so bleibt, wird auch die nächste Touristensaison in Europa schlecht. Es gibt deflationären Druck auf die Preise bestimmter Güter. Obendrein könnte sich der Zustand der Banken verschlechtern, bis hin zu möglichen Konkursen. Bisher sehen wir davon nichts - aber so etwas passiert typischerweise, wenn eine Währung erstarkt. Firmen geraten in Schwierigkeiten und das schadet den Banken.

SPIEGEL ONLINE: Bisher konnten die EZB und die europäische Politik den Euro-Auftrieb nicht bremsen. Warum sind sie so machtlos?

Mundell: Öffentliche Bekundungen allein reichen nicht aus. Trichet und seine Kollegen sind hervorragende Leute. Aber es ist seltsam, dass die EZB sich nicht ein bisschen schlauer anstellt.

SPIEGEL ONLINE: Dann sollte sie aktiv auf dem Devisenmarkt intervenieren?

Mundell: Das europäische Zentralbanksystem verfügt insgesamt über 400, 500 Milliarden Dollar Währungsreserven. Die Linie der EZB ist, dass sie diese Reserven nie aktiv einsetzt. Warum hat man sie dann? Jetzt wäre für die EZB ein günstiger Zeitpunkt, um Dollar-Bestände aufzubauen.

SPIEGEL ONLINE: Devisenmarkt-Interventionen sind oft sehr teuer und verpuffen schnell.

Mundell: Wenn die EZB interveniert, sollte sie bestimmte Grundsätze einhalten. Sie muss ein glasklares Ziel für den Wechselkurs bekannt geben - den darf dann niemand antasten. In diesem Fall würde ich einen Höchstpreis für den Euro von 1,30 Dollar festsetzen. Den könnte die EZB mit Leichtigkeit verteidigen. Einfacher wäre es, wenn sie zusammen mit ausländischen Partnern interveniert. Und außerdem sollte sie bereit sein, auch ihre Geldpolitik zu ändern - selbst wenn das auf eine Zinssenkung hinausläuft.

SPIEGEL ONLINE: Die EZB tendiert eher in die andere Richtung - sie denkt über Zinserhöhungen nach.

 

DPA

Notenbanker Greenspan, Trichet mit Deutsche-Bank-Chef Ackermann: "Ich sehe niemanden, der die Führung übernehmen würde"

Mundell: Dafür ist die Inflationsgefahr in Europa nicht ernst genug. Sie schwindet sogar wegen des gefallenen Dollars. Und für den Aufschwung wären niedrigere Zinsen nötig.

SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie denn, dass Europa das Wechselkursproblem in den Griff bekommt?

Mundell: Ich sehe niemanden, der die Führung übernehmen würde. Nicht auf der Ebene der Regierungen - und der EZB fehlt das Selbstvertrauen, um ein Wechselkursziel festzulegen. Also wird nichts passieren ...

SPIEGEL ONLINE: ... es sei denn?

Mundell: ... es sei denn, die EU bewegt sich. Der Ministerrat muss eine Struktur finden, in der jemand die Zuständigkeit für den Wechselkurs bekommt. Es sollte auf Ebene der EU jemanden wie den Chef der Treasury in den USA geben.

SPIEGEL ONLINE: Das wird sich nur schwer umsetzen lassen. Es ist der EU ja nur mit Mühe gelungen, mit Javier Solana einen Repräsentanten für die gemeinsame Außenpolitik zu finden.

Mundell: Das Amt muss auch nicht in der Verfassung festgeschrieben werden. Sie können ein Ad-hoc-Komitee schaffen, eine Art Triumvirat, in dem Frankreich, Deutschland und Italien die Wechselkurspolitik machen. Dann bräuchten sie jemanden wie Herrn Solana als Repräsentanten dieser drei Spitzenmächte. Er sollte wohl ein Deutscher oder ein Franzose ein - und eine wirtschaftliche Autorität, damit man ihm zuhört.

SPIEGEL ONLINE: Den kleineren EU-Ländern wird diese Idee nicht gefallen.

Mundell: Ich schlage ja keinen Wirtschaftsdiktator vor, sie brauchen Konsens und Konsultationen. Aber die Idee, die Entscheidungen vom Ministerrat fällen zu lassen, ist nicht besonders gut. Wenn sie etwas umsetzen wollen, können sie mit einem 25-Personen-Gremium nichts anfangen - sie brauchen eine kleinere Gruppe.

SPIEGEL ONLINE: Sie werden oft "Vater des Euro" genannt, weil Ihre Arbeiten die Idee eines größeren Währungsraumes aufgeworfen haben, später haben Sie die Europäische Gemeinschaft beraten. Wird der Erfolg des Euro durch die Kursturbulenzen geschmälert - oder sind Sie noch stolz auf Ihre Rolle?

 

Mundell trat am Wochenende als Redner beim "Hamburg Summit" auf, einem Treffen der Wirtschafts- und Politelite aus Europa und der Volksrepublik China. Die Hansestadt wollte sich damit als Scharnier zwischen EU und Fernost profilieren und Nutzen aus dem Boom in China schlagen.

WEITER

Mundell: Das bin ich absolut. Der Euro ist wunderbar für alle zwölf Länder, die ihn eingeführt haben. Jedes Land hat eine bessere Geldpolitik als vorher. Jede Firma hat Zugriff auf einen kontinentweiten Kapitalmarkt. Und jeder Einzelne hat eine Währung mit Weltklasse.

SPIEGEL ONLINE: Sie verbringen ein Drittel Ihrer Zeit in Italien - dort haben Sie Gelegenheit die Währung zu nutzen, deren Einführung Sie vorbereitet haben.

Mundell: Jedes Mal wenn ich hinfahre, finde ich es wunderbar, dass ich mit derselben Währung quer durch Europa reisen kann. Und jedes Mal, wenn ich Geld von Dollar in Yen oder Euro tausche und enorme Bankgebühren zahle, selbst bei großen Summen, sehe ich, was für eine große Verschwendung ein solches System ist. Einfach große Verschwendung.

Das Interview führte Matthias Streitz