Erfolg an der Börse durch Visionen

Geschenkidee für Aktionäre

von Erwin Grandinger

Wer als ernsthafter Investor über die Feiertage einen grandiosen Blick über den Tellerrand werfen möchte, sollte sich unbedingt Ray Kurzweils atemberaubendes 500-Seiten-Werk "The Singularity is Near" (nur auf Englisch) unter den Tannenbaum legen. Der US-Autor und sein Team, die jährlich Hunderte von wissenschaftlichen Aufsätzen auswerten, erklären seit Jahrzehnten Firmen die nahe Zukunft (10 bis 15 Jahre), damit Letztere Trends nicht verschlafen. Viele von Kurzweils Vorhersagen wurden Realität (so im Bereich künstliche Intelligenz: etwa Spracherkennungs- und Sprachkorrektursoftware). In diesem faszinierenden Buch hämmert er dem wachen Investor zwei fundamentale Botschaften ein. Erstens, das Gesetz der sich beschleunigenden Veränderung verbunden mit, zweitens, absehbaren Qualitätssprüngen. Was heißt das? Die Entwicklung des PCs ging von Lochkarten über Vakuumröhren, Relais, Transistoren zu integrierten Prozessoren - und jeder dieser Qualitätssprünge wurde in immer dramatisch kürzeren Zeitabständen erreicht. Die Geschwindigkeit der Veränderung beschleunigt sich in unserem Zeitalter von linear zu logarithmisch - und auch innerhalb eines Produktzyklus (man vergleiche nur das Verhältnis Rechenleistung zu Anschaffungspreis eines PCs mit dem vor 15 Jahren). Kurzweil argumentiert äußerst überzeugend, daß die Entwicklung der Menschheit am Beschleunigungspunkt ("knee of the curve") einer expotentiellen Kurve befindet. Wir werden mit Innovationen in der Gen-, Bio- und Nanotechnik sowie Robotik förmlich überschüttet werden. Für den Investor besteht die faszinierende Aufgabe eigentlich nur darin, die Bill Gates von morgen zu identifizieren und in diese Firmen zu investieren. Diese Veränderung muß man als Investor unbedingt verstehen, um an den Qualitätssprüngen des 21. Jahrhunderts finanziell partizipieren zu können (wie etwa beim Fax vor 20 Jahren, Internet vor zehn oder Solarzellen heute). Kurzweil gibt Hunderte von Beispielen. Er prognostiziert, daß Schaltkreise ("Chips") in Zukunft kleiner und dreidimensional angeordnet sein werden (und nicht nur auf zweidimensionalen Leiterplatten). Damit wird die Rechenleistung und Speicherkapazität expotentiell gesteigert und hochkomplexe Rechenaufgaben, die heute noch Zukunftsmusik sind, auf Kleinstgröße abgewickelt. Die Firmen, die in der Lage sind, solche Chips zu produzieren, muß man einfach ins Aktienportfolio legen.

Gegen den Trend bestreitet Kurzweil eine zukünftige Energiekrise. So besteht er beispielsweise darauf, daß die herkömmlichen Solarzellen ineffizient und teuer sind. Er prophezeit, daß sie schon in wenigen Jahren von Solarzellen mit Nanotechnologie abgelöst werden, die hundertmal mehr Sonnenenergie ausbeuten und wesentlich billiger sind. Brennstoffzellen, die noch massiv Platz und Technik beanspruchen, aber sehr effizient sind, werden zukünftig in Miniaturgröße hergestellt und zum Standard in Autos (das Benzinauto ist dann "alte' Technologie wie etwa das Fax). Er beschreibt wie in der Medizin durch Chipimplantate bei Diabetikern die Insulinzufuhr geregelt oder Nanoroboter Blutgefäße "reinigen" und Schlaganfälle verhindern werden. Die Firmen, die sich dieser Herausforderung stellen, werden zu Microsoft, Google, Q-Cells oder Intercell von morgen. Für den Finanzmarktteilnehmer entwickelt sich hier eine schier unglaubliche, neue Welt. Ein Füllhorn von Investitionsmöglichkeiten. Man muß nur diese Herausforderung annehmen und sich den Veränderungen, die unaufhaltsam sind, positiv stellen.

Also, nichts ist so sicher wie die sich beschleunigende Veränderung. Der Investor sollte dieses Gesetz zum eigenen Vorteil nutzten. Das Ideenpotential ist gewaltig. Einmal genutzt läßt sich damit prima Geld machen - damit das Christkind noch mehr Geschenke unter den Tannenbaum legen kann.

Erwin Grandinger ist Politischer Analyst und Partner bei EPM Group

Artikel erschienen am Sa, 24. Dezember 2005